Oxidativer Stress
Chronische Entzündungen bei Hunden und Katzen
- Was ist eine Entzündung?
- Wie entsteht eine chronische Entzündung?
- Welche Faktoren begünstigen eine chronische Entzündung?
- Was ist oxidativer Stress?
- Welche Rolle spielen die Ernährung und das Gewicht?
- Welche Rolle spielt das Alter?
- Welche Folgen kann eine chronische Entzündung haben?
- Was hilft bei chronischen Entzündungen?
Was ist eine Entzündung?
Die Entzündung ist eine Schutzreaktion des Körpers. Sie soll den Schaden begrenzen und eine Heilung oder die notdürftige Reparatur durch Narbengewebe ermöglichen. Egal ob der Körper durch eine Verletzung, Verätzung, verminderte Durchblutung, Krankheitserreger, allergische oder Autoimmunreaktionen geschädigt wird - Die Entzündungsreaktion läuft immer ähnlich ab und lässt sich mit einem Feuerwehreinsatz vergleichen:
- Absetzen des Notrufs: Immunzellen im geschädigten Gewebe (z.B. Mastzellen) setzen so genannte Entzündungsmediatoren frei.
- Anrücken der Rettungskräfte: Durch die Entzündungsmediatoren werden im Blut zirkulierende Immunzellen angelockt, die Blutgefäße im betroffenen Gebiet erweitern sich und die Gefäßwände werden durchlässig. Auf diese Weise gelangen viele rote und weiße Blutzellen sowie Blutplasma aus den Gefäßen in die Zellzwischenräume.
- Koordinierung des Hilfseinsatzes: Je nach Auslöser der Entzündung differenzieren sich die angerückten weißen Blutzellen und auch Gewebezellen vor Ort zu unterschiedlichen Zelltypen, welche den Schaden begrenzen und die weiteren Aufräumarbeiten bewältigen. Reicht dies nicht, wird über Entzündungsmediatoren weitere Hilfe angefordert.
- Beginn der Schutzmaßnahmen und Aufräumarbeiten: Falls nötig werden defekte Blutgefäße abgedichtet und klaffende Wunden mit einem Netz aus Eiweißfäden (Fibrin) stabilisiert. Weiße Blutzellen töten eingedrungene Krankheitserreger und Fresszellen räumen totes Gewebe ab.
- Wiederaufbau: Sofern möglich, wird wieder funktionierendes Gewebe gebildet und neue Blutgefäße sichern dessen Durchblutung. Bei größeren Schäden entsteht durch Einlagerung von Kollagenfasern eine Narbe.
Alle diese Schutzmaßnahmen führen zu den typischen akuten Entzündungszeichen:
Am Ort des Geschehens:
- Schwellung
- Rötung
- Wärme
- Schmerz
- Funktionseinschränkung
Allgemein:
- Fieber
- Entzündungsparameter bei Blutuntersuchung erhöht
Je nach Auslöser, Ausmaß und Ort der Entzündung treten nicht immer alle Entzündungszeichen auf beziehungsweise sind nicht alle von außen erkennbar.
Man unterscheidet außerdem verschiedene Entzündungsarten, zum Beispiel eitrige Entzündungen, die häufig durch Bakterien hervorgerufen werden oder fibrinöse Entzündungen, bei denen viel Bindegewebe entsteht (z.B. Narbenbildung nach Verletzungen oder beim Organinfarkt).
Wie entsteht eine chronische Entzündung?
Kann der oben beschriebene Rettungseinsatz den Schaden beseitigen, endet die akute Entzündungsreaktion von allein wieder. Anders, wenn der Auslöser der Entzündung nicht vollständig getilgt werden kann oder immer wieder das Immunsystem reizt. Diese aus einer akuten Entzündung hervorgehende chronische Entzündung nennt man sekundär chronische Entzündung.
Häufig ist es jedoch so, dass die Entzündung von vornherein so abläuft, dass sie sich in einer Art Teufelskreis selbst immer weiter unterhält, als so genannte primär chronische Entzündung. Diese langfristig zerstörerische Reaktion, die ihren physiologischen Sinn verloren hat, ist Gegenstand intensiver Forschung, denn sie ist für sehr viele schwere Erkrankungen verantwortlich.
Welche Faktoren begünstigen eine chronische Entzündung?
Die Neigung zu überschießenden, fehlgeleiteten und nicht enden wollenden Entzündungen ist erblich, denn wie gut oder schlecht das Immunsystem arbeitet ist zum Teil genetisch bedingt. Beispielsweise wird die Neigung zu Allergien und Autoimmunerkrankungen vererbt, ob und wann diese allerdings wirklich ausbrechen, liegt zum Teil auch an den Lebensumständen.
Das Alter, die Ernährung, das Gewicht und der Stresslevel beeinflussen beispielsweise das Immunsystem und damit den Ablauf der Entzündungsreaktion, die im Wesentlichen durch Immunzellen koordiniert wird. Eine besondere Rolle spielt laut aktuellem Forschungsstand so genannter Oxidativer Stress.
Was ist oxidativer Stress?
Unter oxidativem Stress versteht man einen Überschuss an reaktiven Sauerstoffspezies, so genannten ROS (reactive oxygen species) -- zu denen auch die so genannten Freien Radikale gehören -- sowie ihren Verwandten, den reaktiven Stickstoffspezies, kurz RNS (reactive nitrogen species).
Diese reaktionsfreudigen Moleküle (= Oxidanzien) werden im normalen Zellstoffwechsel gebildet und in den Zellen routinemäßig durch Schutzmechanismen, vor allem Antioxidanzien, neutralisiert. Entsteht jedoch ein Ungleichgewicht zwischen Antioxidanzien und Oxidanzien, schädigen die aggressiven Verbindungen zum Beispiel Stoffwechselenzyme, die Zellmembran und die Erbsubstanz (DNA) im Zellkern. Dies kann zu Funktionseinschränkungen der Zelle bis hin zur krebsartigen Mutation oder zum Tod der betroffenen Zelle führen.
Die reaktiven Sauerstoff- und Stickstoffspezies spielen bei Entzündungen eine wichtige Rolle. Sie werden von weißen Blutzellen freigesetzt, um zum Beispiel Bakterien oder virenbefallene Zellen abzutöten. Die RNS sind an der Erweiterung der Blutgefäße beteiligt und sogar Krebszellen können mithilfe der ROS abgetötet werden.
Eigentlich haben diese Oxidanzien also sehr wichtige Aufgaben im Rahmen der normalen schützenden Entzündungsreaktion. Werden sie jedoch durch Antioxidanzien nicht ausreichend in Schach gehalten oder immer weiter produziert, weil die Entzündung nicht zum Stehen kommt, entfalten sie ihre zerstörerische Wirkung auch im eigentlich gesunden Gewebe.
Welche Rolle spielen die Ernährung und das Gewicht?
Die Ernährung beeinflusst Entzündungsprozesse auf mehrere Arten. Zum Einen brauchen Tier und Mensch eine ausreichende Menge Nährstoffe, damit das Immunsystem - ebenso wie alle anderen Organsysteme des Körpers - reibungslos arbeiten kann. Es benötigt zum Beispiel Energie für die Funktion der Immunzellen und Eiweißbausteine für die Bildung von Abwehrstoffen (Antikörpern) und Botenstoffen (Cytokinen). Mit der Nahrung aufgenommene Antioxidanzien (u.a. Vitamin C und E) tragen außerdem dazu bei, oxidativen Stress direkt zu bekämpfen.
Zum Anderen führt eine zu kalorienreiche Ernährung zu Übergewicht und dies fördert chronische Entzündungsprozesse. Die überschüssige Energie wird in Fettzellen gespeichert und diese produzieren bei Übergewicht entzündungsfördernde Botenstoffe (Zytokine), sodass eine chronische Entzündungssituation entsteht (low grade inflammation).
Aus der Humanmedizin ist bekannt, das Menschen in Ländern mit Antioxidanzien-reicher Ernährung (siehe auch unten) - zum Beispiel im Mittelmeerraum oder in Indien - seltener an entzündungsbedingten Zivilsationskrankheiten leiden.
Welche Rolle spielt das Alter?
Ältere Tiere und Menschen werden anfälliger für entzündliche Erkrankungen, da ihr Immunsystem insgesamt weniger effizient arbeitet. Diese altersbedingten Veränderungen der Immunabwehr nennt man Immunoseneszenz. Allerdings gibt es große individuelle Unterschiede beim Voranschreiten der Immunoseneszenz, die wiederum mit den Erbanlagen und dem Lebenswandel zu tun haben.
Ältere Individuen leiden erwiesenermaßen auch häufiger unter oxidativem Stress, doch ist dessen Einfluss auf den Alterungsprozess heute umstritten. Früher ging man davon aus, dass oxidativer Stress der Hauptgrund des Alterns sei. Sein Einfluss ist zum Beispiel bei Rauchern leicht zu erkennen: "Rauchen lässt Ihre Haut altern!" Steht auf den Zigarettenpackungen und Schuld ist der durch das Rauchen massiv erhöhte oxidative Stress. Allerdings lassen sich nicht alle altersbedingten Veränderungen durch oxidativen Stress erklären.
Welche Folgen kann eine chronische Entzündung haben?
Läuft die Entzündungsreaktion immer weiter, wird durch die Abwehrzellen sowie die von ihnen freigesetzten ROS auch eigentlich gesundes Gewebe geschädigt und die betroffene Region kann sich nicht wieder regenerieren. Die einzige Möglichkeit des Körpers mit dem Schaden umzugehen ist, untergegangenes Gewebe durch Narbengewebe zu ersetzen. Es entsteht eine so genannte Fibrose.
Je mehr Narbengewebe in einem Organ entsteht, desto schlechter kann es seine Funktion erfüllen. Es hat weniger funktionierendes Organgewebe zur Verfügung und die entstandenen Narben können die Funktion weiter einschränken (z.B. die Lungenausdehnung beim Atmen behindern).
Beispiele für durch Narbenbildung im Rahmen chronischer Entzündungen eingeschränkte Organfunktionen bei Tieren gibt es sehr sehr viele, etwa:
- vernarbter Gelenkknorpel durch chronische Gelenkerkrankungen wie Arthrose und Arthritis bei Hund, Katze oder Pferd
- so genannte Schrumpfnieren (chronische Niereninsuffizienz) durch chronische Nierenentzündungen, vor allem bei älteren Katzen, aber auch bei Hunden
- Leberzirrhose durch chronische Leberentzündungen, vor allem bei Hunden
- stark eingeschränkte Verdauungsfunktion (exokrine Pankreasinsuffizienz) und eventuell Diabetes durch eine chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis) bei Hund und Katze
- Lungenfibrose mit entsprechend eingeschränkter Atmung z.B. durch eine chronisch obstruktive Bronchitis des Pferdes oder Katzenasthma
- chronischer Durchfall und Gewichtsabnahme durch chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie IBD (inflamatory bowel disease), vor allem bei Hunden
- enge, vernarbte Gehörgänge durch chronische Ohrenentzündungen (Otitis externa), zum Beispiel im Rahmen allergischer Hauterkrankungen bei Hunden und Katzen
… und so weiter. Die Liste ließe sich noch sehr lange weiterführen.
Eindeutig besteht auch ein Zusammenhang zwischen chronischen Entzündungen und der Krebsentstehung. Beim Menschen geht man davon aus, dass 15 Prozent aller Krebserkrankungen mit mikrobiell bedingten chronischen Entzündungen zusammenhängen. Bekannte humanmedizinische Beispiel sind zum Beispiel ein erhöhtes Magenkrebsrisiko durch Helicobacter-pylori-Infektionen oder auch das bei AIDS auftretende Kaposi-Sarkom.
Auch bei Tieren gibt es bestimmte Infektionen, vor allem Virusinfektionen, die Krebserkrankungen hervorrufen, etwa das Feline Sarkomvirus (FeSV) oder das Feline Leukämie-Virus (FeLV).
Auch nicht-infektiös bedingte chronische Entzündungen können jedoch das Krebsrisiko steigern. Beim Menschen (nicht jedoch beim Hund) ist beispielsweise ein Zusammenhang zwischen IBD (inflammatory bowel disease) und einem erhöhten Dickdarmkrebs-Risiko nachgewiesen worden. Dass wiederkehrende Sonnenbrände - also durch UV-Strahlen hervorgerufene Entzündungen - das Hautkrebsrisiko erhöhen, ist inzwischen ja auch allgemein bekannt.
Jeder, der selbst unter einer chronischen Entzündung leidet weiß, dass sie seine Lebensqualität erheblich einschränken kann. Nicht nur, dass ein arthrotisches Knie schmerzt oder Atemnot durch eine eingeschränkte Lungenfunktion das Leben erschwert - das allein ist schon schlimm genug. Zusätzlich kostet die ständige Aktivierung des Immunsystems auch noch jede Menge Energie. Betroffene Tiere und Menschen sind deshalb häufig müde, schlapp und antriebslos.
Häufig tragen chronische Entzündungen dazu bei, die Grunderkrankung zu verschlechtern. Zum Beispiel besteht bei der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) über lange Zeit eine schwache chronische Entzündung (low grade inflammation), die zwar an sich symptomlos bleibt, aber die Zuckerkrankheit weiter verschlechtert, weil sie unter anderem die Insulinresistenz fördert.
Was hilft bei chronischen Entzündungen?
Es gibt eine ganze Reihe gut wirksame entzündungshemmende Medikamente, die für Hund, Katze und Pferd zugelassen sind. Man nennt sie auch nichtsteroidale Entzündungshemmer oder NSAID (non steroid anti-inflammatory drugs), um sie vom ebenfalls entzündungshemmend wirkenden Steroid Cortison abzugrenzen. NSAID oder auch Cortison können chronische Entzündungsreaktionen unterbrechen und sind für unsere tierischen Patienten sehr oft sehr hilfreich. Viele Tiere vertragen sie gut, doch sind sie vor allem bei langfristiger Anwendung nicht frei von Nebenwirkungen und manche Hunde, Katzen oder Pferde reagieren empfindlicher auf sie als andere. Es ist also sinnvoll, die Medikamentendosis so gering wie möglich zu halten, indem man den Patienten zusätzlich unterstützt.
Doch bitte: Reduzieren Sie nicht ohne Rücksprache mit einem Tierarzt die Medikamentendosis Ihres chronisch kranken Tieres! Setzen Sie Medikamente nicht eigenmächtig ab! Wenn Sie Ihrem Vierbeiner schmerzlindernde, entzündungshemmende Medikamente aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen vorenthalten oder nur sporadisch geben, können Sie großes Leid verursachen! Das erleben wir in der tierärztlichen Praxis leider immer wieder.
Was kann ich tun, um mein chronisch krankes Tier zu unterstützen?
1. Vermeiden Sie Stress
Körperlicher und seelischer Stress fördern oxidativen Stress und somit chronische Entzündungsprozesse. Stress führt zum Beispiel auch zu Schlafmangel und Schlafmangel schädigt nachweislich die Darmbarriere, was wiederum zu chronischen Darmentzündungen beiträgt - bei Tier und Mensch gleichermaßen.
Sorgen Sie also dafür, dass Ihr Tier ausreichend Ruhephasen bekommt, doch lassen Sie es nicht links liegen. Liebevolle Aufmerksamkeit und mäßige Bewegung wirken sich erwiesenermaßen positiv auf das Immunsystem und die Heilung aus. In Amerika nennt man diesen Teil der Behandlung “tender loving care” (TLC), also “sanfte, liebevolle Pflege” und wie gut die tut, wissen wir alle aus eigener Erfahrung.
Übrigens: Schmerz ist ein großer Stressfaktor! Eine gute Schmerztherapie (z.B. mit NSAID) ist deshalb kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
2. Sorgen Sie für ausreichend gesunde Nahrung
Was eigentlich selbstverständlich klingt, kann bei chronisch kranken Tieren durchaus ein Problem sein. Beispielsweise wenn eine nierenkranke Katze vor Übelkeit nicht fressen mag und wenn das Futter bei chronischer Bauchspeicheldrüsenentzündung oder chronischem Durchfall fast unverdaut wieder ausgeschieden wird. Für solche Fälle gibt es spezielle tierärztliche Diätfutter, die an die jeweilige Erkrankung angepasst sind, sodass Ihr Tier trotz seiner Schwierigkeiten möglichst gut versorgt wird. Solche Diäten sind (meist) nicht etwa kalorienarm, sondern im Gegenteil sehr energiereich und leicht verdaulich, damit auch ein angeschlagener Magen-Darm-Trakt ohne große Mühe aus einer kleinen Futtermenge alle nötigen Nährstoffe aufnehmen kann. Zusätzlich sind eventuell Medikamente oder spezielle Ergänzungsfutter notwendig, zum Beispiel ein Medikament gegen Übelkeit bei der nierenkranken Katze und ein Enzympräparat bei der Bauchspeicheldrüsenentzündung.
Bei chronischen Entzündungen ist immer oxidativer Stress im Spiel, der die Entzündung weiter anheizt. Um erhöhten oxidativen Stress auszugleichen, kann es sinnvoll sein, die Nahrung mit Antioxidanzien anzureichern. Besonders intensiv werden seit einigen Jahren die so genannten Polyphenole erforscht, die auch als bioaktive Substanzen oder sekundäre Pflanzenstoffe bekannt sind. Als natürliche Pflanzenstoffe wirken Polyphenole auf verschiedensten Wegen antioxidativ.
Für ihren hohen Polyphenolgehalt bekannt sind zum Beispiel Lebensmittel wie der Granatapfel, das Curry-Gewürz Kurkuma (Polyphenol Curcumin), grüner Tee, Mariendistel und Ginkgo, aber auch Weintrauben (Resveratrol), Brokkoli (Quercetin) und manche Apfelsorten. Nicht alle diese Lebensmittel sind für Hunde und Katzen gut verträglich - Weintrauben und grüner Tee enthalten z.B. für Hunde toxische Substanzen und sollten deshalb nicht verfüttert werden. Außerdem sind Polyphenole in der Regel schlecht bioverfügbar, werden also aus dem Futter nur in sehr geringer Menge ins Blut aufgenommen. In Form konzentrierter Ergänzungsfuttermittel können Polyphenole jedoch die Ernährung von Hunden und Katzen mit Antioxidantien anreichern.
Mehr Informationen zu Curcumin finden Sie auch in unserem Beitrag Kurkuma: Ein altes Heilmittel überzeugt die Wissenschaft.